Im Fremdsprachenunterricht hat Üben leider schon seit längerm einen schlechten Ruf. Ganz automatisch assoziieren auch die meisten Lehrer damit „mechanisch“, „stupider Drill“, „nicht motivierend“, „veraltet“ etc. Deswegen wird insgesamt einfach viel zu wenig geübt. Verheerend hat sich auch der Kontextualisierungsquatsch auf das Üben ausgewirkt. Viele Lehrer trauen sich schon nicht mehr, ihre alten „nicht kontextualisierten“ Übungsblätter oder bewährte Übungsbücher wie die Practice Books (Amazon) zu verwenden. Kontextualisierte Arbeitsblätter zu produzieren ist aber enorm zeit- und arbeitsaufwändig, also wird es einfach nicht gemacht.
Im Sport ist es etwas ganz normales, dass man ständig üben, trainieren und wiederholen muss. Selbst bei austrainierten Profis ist es ganz selbstverständlich, dass sie jeden Tag mehrere Stunden lang immer wieder dieselben Bewegungen üben. Üben hat normalerweise keinen negativen Beigeschmack von „stupide, mechanisch, langweilig“. Natürlich macht z.B. Ausdauer- bzw. Krafttraining nicht immer Spaß, aber die Einsicht in die Notwendigkeit ständigen Übens ist normalerweise vorhanden. Wenn ich eine Bewegung längere Zeit nicht übe, wird sie schlechter, im Extremfall habe ich sie ganz verlernt und muss wieder von vorne anfangen.
Am eindrucksvollsten sehe ich das selber immer wieder beim Jonglieren. Während der Sommerferien kann ich täglich üben und mir neue Tricks erarbeiten. Im Herbst habe ich keine Zeit mehr für regelmäßiges Üben mit der Folge, dass die neu erarbeiteten Tricks wieder völlig „weg“ sind. Nicht nur, dass ich sie nicht mehr flüssig jonglieren kann, ich kann sie überhaupt nicht mehr.
Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich überhaupt kein Problem damit, dass meine Schüler ständig etwas vergessen und wir permanent wiederholen und üben müssen. Egal, ob es sich um Lautschrift, conditional sentences oder Wortschatz handelt, wenn wir es nicht regelmäßig wiederholen, ist das meiste davon nach kurzer Zeit wieder weg. Im Studium haben wir alle mal von der Vergessenskurve nach Ebbinghaus gehört, in der Praxis wird sie aber oft genug ignoriert. So wie es wenig Sinn macht, wenn mir jemand im Herbst vorwirft, dass ich die Tricks, die ich im Sommer gelernt habe, nicht mehr beherrsche, macht es auch wenig Sinn, meinen Schülern in der 9ten vorzuwerfen, dass sie die Lautschrift, die sie (falls überhaupt) in der 5ten gelernt haben, schon längst wieder vergessen haben. Ich spare mir diesen fruchtlosen Diskussionen und übe in dieser Zeit lieber.
Kein Fussballer erwartet, dass das Torschusstraining dadurch „interessanter“ und „motivierender“ wird, dass der Trainer z.B. Luftballons ans Tor hängt oder nach erfolgreichem Torschuss Gummibärchen verteilt. Viele Lehrer haben aber ein schlechtes Gewissen, wenn (z.B. bei „pattern drills“) einfach nur ohne zusätzlichen Schnickschnack geübt wird. Oft kommen sie schon mit einer defensiven Entschuldigungshaltung daher: „I know, conditional sentences are rather boring …“. Diese Haltung ist einem Trainer völlig fremd; er weiß, dass es ohne ständiges Üben nicht geht und sieht deshalb keinen Grund sich dafür zu entschuldigen.
In engem Zusammenhang mit dem Üben steht die Effizienz des Unterrichts. Als Sportlehrer arbeite ich ständig in dem Bewusstsein, dass Zeit knapp und kostbar ist. Ab der 7. Klasse habe ich normalerweise nur noch eine lächerliche Doppelstunde pro Woche und bin mir bewusst, dass dies für immer mehr Kinder die einzige Bewegungszeit ist, weil sie die restliche Zeit nur noch vor Fernseher, PC oder Videokonsole hocken und immer dicker werden. Folglich bin ich ständig bestrebt die wenige Zeit möglichst intensiv und effektiv zu nutzen. Entsprechend bin ich bemüht meine lächerlichen drei Stunden Englisch, die ich z.B. in der 10ten habe, möglichst effektiv zu nutzen. Alles muss flott und zügig gehen, es darf keinen Leerlauf geben, die Schüler sollen immer ganz genau wissen, was sie als nächstes machen sollen.
Diese Haltung erklärt wahrscheinlich auch zum Teil meine Abneigung gegenüber Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, wo m.E. angesichts der aufgewendeten Zeit zu wenig „rauskommt“. Fast immer komme ich zu dem Ergebnis, dass ich eine Aufgabe auch in Partnerarbeit bearbeiten lassen kann, dann spare ich mir schon mal den ganzen Zeitverlust durch Einteilung der Gruppen, Verschieben von Tischen und Bänken und habe gleichzeitig eine viel höhere Intensität.
Als Sportler habe ich natürlich auch zu Leistung ein unkompliziertes Verhältnis. Leistung macht Spaß, es ist toll, wenn man nach langem Übung endlich etwas kann. Wettbewerb und der Wunsch besser zu sein als andere, ist etwas ganz Normales, wofür ich mich nicht zu entschuldigen brauche. Gleichzeitig geht es im Sport nicht ausschließlich gegeneinander, ohne Zusammenarbeit werde ich gerade in Mannschaftssportarten keinen Erfolg haben. Niederlagen (= schlechte Noten) gehören auch einfach dazu, kein Mensch kommt auf den Gedanken, dass eine Niederlage im Fussball die Beteiligten „traumatisiert“ und de-motiviert. Im Normalfall gibt’s einen saftigen Anpfiff vom Trainer, es wird die nächsten Male (noch) disziplinierter trainiert und alle strengen sich beim nächsten Spiel mehr an.
Als Sportlehrer erlebe ich es jeden Tag, dass jemand entweder überhaupt kein Bewegungstalent hat, oder zumindest bestimmte Bewegungen trotz hartnäckigen Übens einfach nicht hinbekommt. Ich erinnere mich noch mit Grausen an einen Mathelehrer, der munter behauptete „Jeder kann Mathe“. Was für ein Blödsinn! Natürlich kann nicht jeder Mathe, Sport oder Englisch. Also muss ich den Schülern, die nun mal kein Talent für Sprache(n) haben, möglichst konkrete „How to …“ Gebrauchsanweisungen (wie z.B. diese hier) an die Hand geben, an denen sie sich „entlanghangeln“ können.
Anspielung in der Überschrift: Das Original lautet „Repetitio est mater studiorum“ (Wiederholung ist die Mutter des Lernens = Übung macht den Meister), „successus“ bedeutet „Erfolg“ bzw. hier Genitiv „des Erfolgs“.
Kai Lehniger
Hallo Jochen,
eine sehr zutreffende Abhandlung zum Thema. Als Sportler und „Engländer“ kann ich nur zustimmen und finde deinen Vergleich sehr erfrischend. Ich kann mich zum großen Teil in deinen Gedanken wiederfinden.
Danke für den tollen Beitrag.
Kai
Andreas Kalt
Hi Jochen – ich bin kein Sportlehrer, fand mich aber ebenfalls in vielem wieder. Und ich war freudig überrascht, wie „klärend“ und „augenöffnend“ manche Parallelen zum Sport sind.
Margit Wenger-Schott
Liebe Jochen Lüders,
als ich heute – wie so so oft rein zufällig – auf diesen Blog gestoßen bin, wusste ich sofort, wer dahinter steckt, denn die Jochen Lüders Seite hatte ich schon lange entdeckt und mir auch so manchen Tipp zu Herzen genommen. Nun muß ich – als Franz-Sport-Lehrerin natülich energisch gegen die Abqualifizierung des FranzösischLehrers als solchen protestieren.…Meiner Erfahrung nach hat es wenig mit dem jeweiligen Fach zu tun, ob ein Lehrer Einzelkämpfer ist oder nicht.….aber vielleicht sollte man diese Bemerkung ja nicht so ernst nehmen.…. Es gab z. B. vor zwei oder drei Jahren eine sehr produktive Internet-Plattform für F‑Lehrer in Bayern, die aber dann leider wegen rechtlicher Bedenken aufgelöst wurde.…
Habe seit wenigen Tagen nun auch ein e‑mail-account unter googlemail und Ihren Blog sofort suscribed.…..vieles gilt ja für F‑Unterricht ganz geanuso.…
Außerdem wollte ich bei den langweiligen frenchsprofs auch die Möglichkeit einer gemeinsamen link-Sammlung anregen, nachdem mit einer meiner Söhne vorgestern von del.icio.us erzählt hat.….klingt echt praktisch, das schreiben Sie ja auch!
A bientôt