Englisch & Sport am Gymnasium und Tango!

Tandas, Cortinas & Playlisten auf Neolongas

Auch in die­sem Bei­trag ver­wen­de ich das inklu­si­ve Mas­ku­li­num. Die Grün­de dafür kann man in die­sem Arti­kel und (aus­führ­li­cher) in die­sem Buch nach­le­sen. Es geht im Fol­gen­den aus­schließ­lich um Neo­lon­gas, also Milon­gas, auf denen nicht nur his­to­ri­sche Musik aus der „gol­de­nen Epo­che“ gespielt wird. 

Immer mal wie­der wer­de ich gefragt, war­um ich Tan­das & Cor­t­i­nas (T&C) spie­le. Hier mei­ne Grün­de, war­um ich sel­ber so auf­le­ge und war­um ich es schön fän­de, wenn auch ande­re DJs so auf­le­gen würden. 

Sich trennen

T&C machen es leich­ter, sich höf­lich und stress­frei zu tren­nen. Als Mann muss ich nicht mit­zäh­len und mir nicht über­le­gen, wann ich mich, ohne unhöf­lich zu wir­ken („Weni­ger als drei Tän­ze sind ein Korb“) wie­der von einer Frau tren­nen kann. Aus Sicht der Frau ist ein schlech­ter Part­ner leich­ter erträg­lich, wenn sie weiß, dass sie ihn nach spä­tes­tens 3–4 Tän­zen wie­der los­wer­den kann, ohne ihn demü­ti­gen zu müs­sen, indem sie von sich aus das Tan­zen beendet.

Länge von Tandas

Wäh­rend vie­le tra­di­tio­nel­le Stü­cke ca. 3 Minu­ten lang sind, sind die meis­ten moder­nen Stü­cke eher um die 4 Minu­ten lang. Das ist ein Grund, war­um ich im Gegen­satz zur tra­di­tio­nel­len Tan­da­struk­tur (4 Tan­gos, je 3 Milon­gas und Val­ses) pro Tan­da nur drei Stü­cke spie­le. Intui­tiv emp­fin­de ich die­se drei als genau „rich­tig“. Bekannt­lich sind „aller guten Tän­ze drei“. Unge­fähr drei Minu­ten emp­fin­de ich auch bei nicht-tra­di­tio­nel­ler Musik als idea­le Län­ge. Nicht umsonst heißt der m.E. schöns­te Tan­go-Roman „DREI Minu­ten mit der Wirk­lich­keit“.

Kür­ze­re Tan­das ermög­li­chen natür­lich auch grö­ße­re musi­ka­li­sche Abwechs­lung. Bei Tra­di­lon­gas spielt die­ser Aspekt kei­ne Rol­le, denn die meis­ten Stü­cke klin­gen sowie­so ähn­lich (bzw. gleich). Bei einer Neo­lon­ga hat man ein viel brei­te­res musi­ka­li­sches Spek­trum und ent­spre­chend gehen die Geschmä­cker viel wei­ter aus­ein­an­der: Der Eine kann „pri­mi­ti­ven“ Elec­t­ro nicht aus­ste­hen, wäh­rend ein Ande­rer „folk­lo­ris­ti­sches Gedu­del“ hasst. Der Nächs­te mag kei­nen „kom­mer­zi­el­len Main­stream-Mist“, und wie­der Ande­re wol­len auf einer Neo­lon­ga gera­de kein „ödes EdO Geschram­mel“ haben. Allen ist gehol­fen, wenn die jewei­li­gen Tan­das nur drei Stü­cke umfassen.

Ein wei­te­rer Grund ist, dass drei Stü­cke über­schau­bar und erträg­lich sind, wenn es mit dem Part­ner nicht beson­ders schön ist. Eine schlech­te Tän­ze­rin mehr als eine Vier­tel­stun­de lang durch die Gegend zu schie­ben, fin­de ich müh­sam. Umge­kehrt als Frau „nur“ ca. 12 Minu­ten unan­ge­nehm eng gehal­ten, „free­style-mäßig“ her­um­ge­schleu­dert oder Sprung­fi­gu­ren gezwun­gen zu wer­den, ist schon schlimm genug, das Gan­ze noch län­ger ertra­gen zu müs­sen, ist m.E. unzumutbar.

Und last but not least, wenn es eng und heiß ist, kommt man als Mann beim vier­ten Tan­go oft unan­ge­nehm ins Schwit­zen, wäh­rend man drei Stü­cke meis­tens noch ganz gut „über­steht“.

Mit dem Wunschpartner tanzen

T&C machen es mei­ner Mei­nung nach leich­ter, mit dem Wunsch­part­ner zu tan­zen. Ohne Cor­t­i­nas wech­selt jeder irgend­wann und es kommt häu­fig vor, dass man stän­dig „anein­an­der vor­beit­anzt“. Wenn ich mit einer bestimm­ten Frau tan­zen möch­te, habe ich zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der ich set­ze mich hin und war­te gedul­dig bis sie end­lich „frei“ wird. Das kann, wenn ich Pech habe, ziem­lich lan­ge dau­ern, wenn die Frau gera­de mit einem Mann tanzt, der sie par­tout nicht „frei­ge­ben“ will. Die Alter­na­ti­ve ist, dass ich wäh­rend des Tan­zens stän­dig mei­ne Traum­frau beob­ach­ten muss, um mich im ent­schei­den­den Moment von mei­ner aktu­el­len Part­ne­rin zu ver­ab­schie­den, mit dem Risi­ko sie zu demü­ti­gen, weil wir z.B. erst zwei Tän­ze zusam­men getanzt haben. Außer­dem wird sie mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit mer­ken, dass ich nicht wirk­lich „bei ihr“ bin.

Mit Cor­t­i­nas ent­fällt die­ser gan­ze Stress. Alle been­den das Tan­zen zur sel­ben Zeit. Natür­lich kann es pas­sie­ren, dass mei­ne Traum­frau auch noch die nächs­te Tan­da mit ihrem aktu­el­len Part­ner tan­zen will, dann muss ich mich halt noch gedul­den. Aber immer­hin weiß ich, dass ich die nächs­te Tan­da sel­ber stress­frei tan­zen kann, ohne stän­dig ver­stoh­le­ne Bli­cke zu wer­fen. Natür­lich gibt es immer ein paar (unhöf­li­che) Igno­ran­ten, die mit­ten in einer Tan­da den Tanz been­den, aber nach mei­ner Erfah­rung wer­den es nach einer kur­zen Ein­ge­wöh­nungs­zeit immer weniger.

Cas­siel (der aller­dings „knö­deln­de“ Non-Tan­gos grund­sätz­lich nicht tanzt) sieht es genauso:

Ich fin­de, Cor­t­i­nas struk­tu­rie­ren einen Abend in wun­der­ba­rer Art und Wei­se. Außer­dem bie­ten sie m.E. einen enor­men Vor­teil: Zur glei­chen Zeit sind alle Tan­gue­ros und Tan­gue­r­as wie­der „ver­füg­bar“. Ein nicht-struk­tu­rier­ter Abend ver­läuft nach mei­nen Beob­ach­tun­gen so, daß man irgend­wann es schafft, sich höf­lich aus einer Tanz­part­ner­schaft zu lösen, aber aus­ge­rech­net zu die­sem Zeit­punkt ist der gewünsch­te nächs­te Tanz­part­ner, die gewünsch­te nächs­te Tanz­part­ne­rin nicht „ver­füg­bar“ (weil er oder sie gera­de tanzt). […] Um für alles Besu­che­rin­nen und Besu­cher glei­che Aus­gangs­be­din­gun­gen zu schaf­fen, fin­de ich Cor­t­i­nas sehr sinn­voll. Und wenn man ein­mal eine Tan­da aus­setzt, dann ist es eben zeit­lich abseh­bar begrenzt. Ein wei­te­res Argu­ment ist die Kon­zen­tra­ti­on. Nach mei­nen Erfah­run­gen schwin­det bei mir die Kon­zen­tra­ti­on, wenn ich län­ge­re Zeit mit einer Tan­guera tan­ze. Eine Tan­da ist für mich die idea­le Län­ge. (Quel­le)

Musikalische und emotionale Struktur

Der wich­tigs­te Grund für mich ist, dass T&C den Abend musi­ka­lisch und damit emo­tio­nal struk­tu­rie­ren und „bere­chen­bar“ machen. Lieb­ha­ber tra­di­tio­nel­ler Milon­gas wer­fen Neo-DJs mei­ner Mei­nung nach oft zu Recht vor, dass sie musi­ka­lisch völ­lig unsen­si­bel und chao­tisch auf­le­gen. Im Extrem­fall folgt dann z.B. auf einen Otros Aires Kra­cher eine Schnul­ze von Zarah Lean­der, danach was Zar­tes von Rene Aubry, danach ein end­lo­ses Lounge-Stück, danach ein tra­di­tio­nel­les Stück aus den 30ern, danach ein Ame­lie Wal­zer, danach Gotan Pro­ject usw. Man kann so etwas natür­lich „abwechs­lungs­reich“ und „inter­es­sant“ fin­den, ich fin­de es ein­fach nur ner­vig. Ich ken­ne eine Rei­he von Leu­ten, die eigent­lich moder­ne Musik zumin­dest genau­so ger­ne mögen wie tra­di­tio­nel­le, denen aber die­ses Durch­ein­an­der der­art auf die Ner­ven geht, dass sie lie­ber nur auf tra­di­tio­nel­le Milon­gas gehen.

Es ist für mich auch völ­lig unver­ständ­lich, war­um DJs, die sowohl tra­di­tio­nell als auch modern auf­le­gen, bei tra­di­tio­nel­ler Musik größ­te Sorg­falt auf die Zusam­men­stel­lung ihrer Tan­das legen, wäh­rend sie bei moder­ner Musik total chao­tisch auf­le­gen und alle Regeln missachten.

Ich möch­te von der Musik nicht emo­tio­nal mit jedem neu­en Stück in eine ande­re Rich­tung „geschubst“ wer­den. Über den Abend ver­teilt möch­te ich durch­aus das gan­ze emo­tio­na­le Spek­trum von dyna­misch / fröh­lich / leb­haft bis hin zu melan­cho­lisch / roman­tisch haben, aber eben nicht im stän­di­gen Wech­sel mit jedem neu­en Stück.

Cor­t­i­nas schaf­fen einen emo­tio­nal „neu­tra­len“ Über­gang zwi­schen den ver­schie­de­nen Stim­mun­gen. Auch wenn sich die fol­gen­de Pas­sa­ge auf tra­di­tio­nel­le Musik bezieht, fin­de ich sie treffend:

I’m so much into the music that, I need a “break” in-bet­ween tan­das or some­thing to make me for­get about the pre­vious tan­da. Other­wi­se, I will have a hard time to pull my emo­ti­on out from what has been play­ed, then I can­not dance the next set of music. In a nuts­hell, I can­not imme­dia­te­ly jump from Di Sar­li to Dona­to, I need some­thing to “wash away” my Di Sar­li mood so that I can chan­ge mys­elf into Dona­to mode, and that’s what cor­ti­na means to me. I don’t need a very long cor­ti­na, a 20 second or 30 second cor­ti­na is good enough. (Quel­le)

Ich sehe es genau­so, aus die­sem Grund sind mei­ne Cor­t­i­nas ca. 30 Sekun­den lang. Cor­t­i­nas, die deut­lich län­ger sind (oft mehr als eine Minu­te), fin­de ich zu lang. Sol­che lan­gen Cor­t­i­nas wer­den oft von DJs gespielt, die sel­ber in Bue­nos Aires waren und die dor­ti­gen Gepflo­gen­hei­ten imi­tie­ren. Was sie nicht beden­ken, ist, dass Cor­t­i­nas dort eine ande­re Funk­ti­on haben:

The pri­ma­ry func­tion of cor­t­i­nas in Bue­nos Aires is to clear the dance flo­or and encou­ra­ge peo­p­le to chan­ge part­ners. It is a very prac­ti­cal reason. Cor­ti­na is a code of beha­vi­or in a milon­ga. When dancers hear the cor­ti­na, ever­y­bo­dy will lea­ve the dance flo­or. If there’s someone who doesn’t know this rule and waits for the next tan­da to start on the dance flo­or, then they will find them­sel­ves extre­me­ly embar­ras­sed, it hap­pens quite often to the milon­ga first timer. […] Then in Bue­nos Aires, cor­ti­na usual­ly lasts around 1 minu­te, some­ti­mes lon­ger some­ti­mes shorter, depends on dif­fe­rent DJs and dif­fe­rent milon­gas. If the dance flo­or is big and there’re lots of dancers, of cour­se it takes more time to clear the dance flo­or, hence DJ plays lon­ger cor­ti­na, and vice ver­sa. (Quel­le)

Man mag vie­le Regeln der tra­di­tio­nel­len Tan­da­struk­tur als pedan­tisch emp­fin­den (nicht ver­schie­de­ne Orches­ter, Sän­ger bzw. instru­men­tal und vokal mischen usw.), aber sie haben schon auch ihren Sinn. Die Funk­ti­on von Tan­das ist dieselbe:

The func­tion of a tan­da is both social and musi­cal. It estab­lishes a mood for the cou­ple to share. For this reason, it’s essen­ti­al that a tan­da is coher­ent. The songs in the tan­da should feel as if they belong tog­e­ther. (Quel­le)

Neh­men wir roman­ti­sche Val­ses wie Tar­des de Bolon­ha. Den ers­ten Vals brau­che ich, um mich auf eine frem­de Frau „ein­zu­stim­men“ bzw. in Stim­mung zu kom­men. Erst den zwei­ten und (hof­fent­lich) drit­ten Vals kann ich dann wirk­lich genie­ßen. Wenn nach dem ers­ten Vals aber gleich wie­der ein dump­fes Elec­t­ro-Gestamp­fe kommt, ist die gan­ze Stim­mung und der Genuß dahin.

Mei­ne Tan­das fol­gen der klas­si­schen TTMTTV Struktur:

Tan­go: dynamisch/lebhaft/fröhlich – Tan­go: mitt­le­res Tem­po – Milonga

Tan­go: ruhig/romantisch/melancholisch – Tan­go: mitt­le­res Tem­po – Vals

Wie bei tra­di­tio­nel­len Tan­das stel­le ich ger­ne gleich­ar­ti­ge Stü­cke zusam­men, also z.B. eine „Klez­mer“ oder „tür­ki­sche“ Tan­da, eine nur mit Cover-Ver­sio­nen aktu­el­ler Hits, nur mit deut­schen Songs oder eine mit einem bestimm­ten Interpreten/Orchester.

Vom Tan­da-Prin­zip wei­che ich ledig­lich manch­mal ganz am Ende der Milonga/des Abends ab. Da spie­le ich dann als emo­tio­na­len Höhe­punkt nur ein ein­zi­ges (dafür län­ge­res) Stück wie z.B. „Mor­gen­rot“ oder „Hal­le­lu­jah“.

Berechenbarkeit

T&C machen die Musik „bere­chen­bar“. Neh­men wir an, jemand kann grie­chi­sche Musik wie z.B. Sou Aksi­ze … ein­fach nicht aus­ste­hen. Wenn ich die­ses Stück auf­le­ge, weiß er „Ok, die nächs­te Tan­da kann ich ver­ges­sen, jetzt kommt die­ses fürch­ter­li­che folk­lo­ris­ti­sche Gedu­del, jetzt kann ich auf die Toi­let­te gehen, mir ein Getränk holen, die Tan­da aus­sit­zen und/oder plaudern.“

Each new tan­da is a new begin­ning, and the dancers deci­de whe­ther or not they will dance, and with whom, accor­ding to how it opens. The first song is a sign and a pro­mi­se of what is to come. Accor­din­gly, it is important that the first song accu­ra­te­ly por­trays the tan­da as a who­le. If it does not, the dancers start to lose trust in the DJ. (Quel­le)

Ich has­se es zu Musik, die mir nicht gefällt, tan­zen zu müs­sen. Wenn man eine fes­te Part­ne­rin hat, kann man sich pro­blem­los auch nach nur einem oder sogar mit­ten in einem Tanz hin­set­zen und ein Stück „aus­sit­zen“. Wenn man aber mit einer unbe­kann­ten Frau tanzt, ver­bie­tet es die Eti­ket­te, schon nach einem Tanz wie­der Pau­se zu machen, nur weil einem das Geschram­mel der Come­di­an Har­mo­nists auf die Ner­ven geht.

Argumente gegen Cortinas

Eini­ge DJs spie­len zwar Tan­das aber kei­ne Cor­t­i­nas. Merk­wür­dig fin­de ich das vor allem bei DJs, die sowohl tra­di­tio­nell als auch modern auf­le­gen. Wenn sie tra­di­tio­nell auf­le­gen, spie­len sie fast immer Cor­t­i­nas, wenn sie modern auf­le­gen, fast nie. Warum?

Ein berech­tig­tes Argu­ment ist, dass Cor­t­i­nas oft „laut […] und aggres­siv“ sind. Das sind sie in der Tat häu­fig, das ist für mich aller­dings kein Argu­ment gegen Cor­t­i­nas. Mir wird es ein ewi­ges Rät­sel blei­ben, was die­se fürch­ter­lich lau­ten Cor­t­i­nas mit Ban­jo-Musik, Jazz, Swing etc. sol­len. Mei­ne Cor­t­i­nas sind immer etwas lei­ser als die rest­li­che Musik und ich neh­me bewusst ruhi­ge Musik, damit die Tän­zer z.B. nach einer fet­zi­gen Milon­ga-Tan­da wie­der „run­ter­kom­men“.

Ein wei­te­res Argu­ment ist, dass Cor­t­i­nas den Tän­zer „bevor­mun­den“ bzw. der DJ die Tän­zer irgend­wie „erzie­hen“ oder „füh­ren“ möch­te. Beson­ders dras­tisch for­mu­liert Vol­ker Marsch­hau­sen (in der Tan­go­dan­za 3/2020 S. 84). „Cor­t­i­nas zwin­gen die Tän­zer zur Auf­ga­be ihres inti­men Tanz­flus­ses und machen die Paa­re zu Frem­den: Du […] musst dein Gegen­über trotz erreich­ter (kör­per­li­cher) Inti­mi­tät bereits nach drei Tän­zen wie­der ver­las­sen.“ Die­ses Argu­ment kann ich nicht nach­voll­zie­hen. Es muss sich doch nie­mand bei der Cor­ti­na tren­nen, wer möch­te, darf ger­ne mit sei­ner Par­te­rin wei­ter­tan­zen (von der one-tan­da rule hal­te ich gar nichts). Für mich ist die Cor­ti­na wie das Was­ser zwi­schen­durch bei der Wein­ver­kos­tung. Ich kann den nächs­ten Wein / die nächs­te Musik bes­ser genie­ßen, wenn ich vor­her etwas Neu­tra­les geschmeckt / gehört habe.

Der am häu­figs­te genann­te Grund ist, dass Cor­t­i­nas den „Tanz­fluss unter­bre­chen“. Es mag „Dau­er­tän­zer“ geben, die das so sehen, ich sehe es völ­lig anders und bin froh über Pau­sen. Ein paar DJs spie­len kei­ne Cor­t­i­nas, weil sie den gan­zen Abend als „orga­ni­sche Ein­heit“ sehen und „flie­ßen­de Über­gän­ge“ von einem Stück zum nächs­ten haben wol­len. Die Fol­ge die­ses Kon­zepts ist, dass sie Stü­cke inein­an­der blen­den bzw. extrem kur­ze (oder auch gar kei­ne) Pau­sen zwi­schen den Stü­cken haben. Bei­des kann ich nicht lei­den. Das Inein­an­der­blen­den emp­fin­de ich als Man­gel an Respekt gegen­über der Musik, außer­dem geht dann auto­ma­tisch das (hof­fent­lich) mar­kan­te Ende eines Stü­ckes mit der dazu­ge­hö­ri­gen klei­nen Schluss­po­se ver­lo­ren (ich mag Stü­cke mit einem „kna­cki­gen“ Ende und mag es nicht so, wenn Stü­cke „aus­du­deln“ bzw. „ver­plät­schern“). Beson­ders nach roman­ti­schen Stü­cken möch­te ich noch ein paar Sekun­den die Musik und den Tanz „nach­wir­ken“ las­se und emp­fin­de es des­halb als stres­sig, wenn sofort das nächs­te Stück beginnt.

Per­so­nal­ly, I pre­fer to use music for the cor­ti­na that is not sui­ta­ble for dancing and that has a neu­tral effect on the mood.  I want the dancers to under­stand the dancing has come tem­po­r­a­ri­ly to an end, but I do not want to dis­rupt the mood that is buil­ding. I regu­lar­ly use an acou­stic gui­tar ren­di­ti­on […] (Quel­le)

Ich neh­me als Cor­ti­na z.B. die ers­ten 30 Sekun­den die­ses Stü­ckes. Ich habe zwar ver­schie­de­ne Cor­t­i­nas, aber an einem Abend spie­le ich immer die glei­che. Ich fin­de es anstren­gend bzw. frus­trie­rend, wenn DJs stän­dig ande­re Cor­t­i­nas spie­len. Man weiß dann als Tän­zer oft nicht, ob das jetzt bereits eine Cor­ti­na oder das nächs­te Stück ist. Man steht erst­mal unent­schlos­sen rum, irgend­wann beschließt man dann, doch mit dem Tan­zen anzu­fan­gen, nur um nach weni­gen Sekun­den wie­der auf­hö­ren zu müs­sen – sehr ner­vig. Die Cor­ti­na hat für mich nur eine ein­zi­ge Funk­ti­on, näm­lich zu signa­li­sie­ren, dass eine Tan­da vor­bei ist und gleich die nächs­te beginnt. Des­halb brau­chen Cor­t­i­nas auch nicht „abwechs­lungs­reich“ zu sein.

Playlisten

Aus den genann­ten Grün­den dür­fen DJs ger­ne mit Play­lis­ten arbei­ten. Im Gegen­teil: Eine lie­be­voll und abwechs­lungs­reich zusam­men­ge­stell­te Play­list ist mir wesent­lich lie­ber als „spon­ta­nes“ Auf­le­gen, wel­ches nach mei­ner Erfah­rung meis­tens nur zu musi­ka­li­schem Durch­ein­an­der führt. Ich erwar­te des­halb auch gar nicht, dass der DJ den gan­zen Abend lang „arbei­tet“ und stän­dig z.B. einen Kopf­hö­rer über einem Ohr hat, weil er irgend­was vor­hö­ren muss. Ich kon­zen­trie­re mich aus­schließ­lich auf den Tanz, die Musik und vor allem natür­lich auf die Frau in mei­nen Armen, der DJ sel­ber ist mir völ­lig egal, er muss für mich nicht „prä­sent“ sein, ich neh­me ihn gar nicht wahr.

Die eigent­li­che „Arbeit“ ist für mich das Fin­den von schö­ner Musik und das Zusam­men­stel­len von Tan­das und Play­lis­ten. Wenn ich drei Stü­cke des sel­ben Inter­pre­ten habe, ist eine Tan­da schnell zusam­men­ge­stellt. Wenn ich aber nur ein­zel­ne Stü­cke habe, kann es Tage und Wochen dau­ern, bis ich zwei ande­re pas­sen­de Stück dazu gefun­den habe. Jede Play­list höre ich min­des­tens zwei­mal kom­plett durch, bevor ich sie spie­le. um sicher­zu­stel­len, dass sowohl die ein­zel­nen Tan­das als auch die gesam­te Play­list in sich stim­mig und trotz­dem abwechs­lungs­reich ist. Am Abend sel­ber habe ich immer mein Notiz­buch bereit, um mir zu notie­ren, wenn eine Tan­da (oder ein ein­zel­nes Stück) nicht so rich­tig „funk­tio­niert“. Dann wird bei nächs­ter Gele­gen­heit die Tan­da wie­der ver­än­dert und (hof­fent­lich) ver­bes­sert. Beson­de­res Augen­merk rich­te ich dar­auf, dass das Ver­hält­nis von bekann­ter und „neu­er“ Musik und das zwi­schen moder­ner und tra­di­tio­nel­ler Musik passt.

Solan­ge die Musik „schön“ (was immer das auch im Ein­zel­fall bedeu­ten mag) und abwechs­lungs­reich ist, ist es m.E. den meis­ten Leu­ten völ­lig egal, ob ein DJ spon­tan auf­legt oder eine Play­list abspielt. Das Gedöns um das spon­ta­ne Auf­le­gen hal­te ich für einen (aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den) lie­be­voll gepfleg­ten Mythos. Hin­ter der ver­schwur­bel­ten For­de­rung, der DJ müs­se „das Par­kett lesen“, also intui­tiv erfas­sen, was die Leu­te wün­schen, steht ja die Annah­me, dass es in einer bestimm­ten Situa­ti­on einen gemein­sa­men Musik­wunsch aller (oder zumin­dest der meis­ten) Tän­zer gäbe. Die­se Annah­me hal­te ich für schlicht­weg falsch. Die Leu­te haben so unter­schied­li­che Musik­ge­schmä­cker und wün­schen sich in einer bestimm­ten Situa­ti­on so der­art unter­schied­li­che Sachen, dass es nie so einen gemein­sa­men Musik­wunsch geben kann. So hat es noch kein DJ jemals geschafft MEINE Wün­sche zu „lesen“. Die meis­ten Neo-DJs spie­len zum Bei­spiel viel zu viel elek­tro­ni­sche Musik (für mich oft mono­ton und„seelenlos“), viel zu wenig (oft über­haupt kei­nen) Vals, häu­fig viel zu lan­ge Stü­cke (alles über 4:30 fin­de ich zu lang) und vor allem viel zu laut.

Wenn du sel­ber DJ bist, mach doch ein­fach mal fol­gen­des Expe­ri­ment. Spie­le eine vor­be­rei­te­te Play­list ab, aber erwe­cke den Ein­druck als ob du „arbei­ten“ wür­dest, also kon­zen­trier­tes Auf-den-Bild­schirm-Star­ren, Kopf­hö­rer über einem Ohr („vor­hö­ren“), Maus-Schub­sen etc. In Wirk­lich­keit machst du aber NICHTS, du lässt ein­fach nur dei­ne Play­list lau­fen. Irgend­wann fragst du die Leu­te, ob du „nur“ eine Play­list abge­spielt hast („kann ja jeder“) oder „spon­tan“ auf­ge­legt hast („gro­ße Kunst“). Solan­ge du kei­ne pri­mi­ti­ven „hand­werk­li­chen“ Feh­ler gemacht hast (z.B. ein „fal­sches“ Stück anspie­len und nach weni­gen Tak­ten abbre­chen und ein ande­res spie­len oder plötz­lich nur noch Gotan Pro­ject spie­len), wird es im Nor­mal­fall kei­ner wirk­lich WISSEN. Natür­lich wird es bei einer 50-pro­zen­ti­gen Rate­chan­ce ent­spre­chend vie­le „rich­ti­ge“ Ant­wor­ten geben, aber nach mei­ner Erfah­rung kann es kaum jemand mit Sicher­heit sagen. Wenn dir spon­ta­nes Rum­su­chen Spass macht und du das Gefühl hast, den Leu­ten damit eine Freu­de zu machen, mach es ger­ne wei­ter. Wenn du es aber als stres­sig emp­fin­dest und es nur machst, weil du glaubst, es wür­de von dir erwar­tet, soll­test du dich ent­span­nen und falls nötig nur noch ein biss­chen Thea­ter spielen.

Musikwünsche erfüllen

Aus dem bis­lang Gesag­ten ergibt sich, dass ich spon­ta­ne Musik­wün­sche nor­ma­ler­wei­se nicht sofort, d.h. am sel­ben Abend, erfül­le. Die Leu­te wün­schen sich meis­tens ein ein­zel­nes Lied, ich spie­le aber nun mal kei­nen ein­zel­nen Stü­cke, son­dern Tan­das. Ich müss­te also auf die Schnel­le zwei ande­re pas­sen­de Stü­cke aus dem Hut bzw. mei­nem Lap­top zau­bern, um eine ent­spre­chen­de Tan­da zusam­men­zu­stel­len. Allein das ist mir schon mal zuviel Stress, das mache ich lie­ber in Ruhe zu Hau­se. Zwei­tens müss­te ich die­se neue Tan­da wie­der auf die Schnel­le irgend­wo in mei­ner Play­list (statt einer ande­ren) ein­fü­gen, auch dazu habe ich kei­ne Lust.

Ich erfül­le ger­ne (und stän­dig) Musik­wün­sche, aber eben mit einer ein­wö­chi­gen Ver­zö­ge­rung. In die­ser Zeit habe ich sel­ber eine (hof­fent­lich) stim­mi­ge Tan­da zusam­men­ge­stellt oder habe die Titel der gewünsch­ten drei Stü­cken bekom­men. Nach ca. 90 Minu­ten gibt es bei mei­ner Milon­ga immer eine kur­ze Pau­se für Begrü­ßung, Bekannt­ma­chung der nächs­ten Ver­an­stal­tun­gen usw. Nach die­ser Pau­se kom­men dann die per­sön­li­chen „Wunsch-Tan­das“ mit nament­li­cher Nen­nung: „Die nächs­te Tan­da ist für den Ger­hard, der sich Musik von Astor Piaz­zolla gewünscht hat“.

Eine Aus­nah­me ist der Wunsch nach einem Geburts­tags-Vals. Das ist m.E. eine schö­ne Tra­di­ti­on und des­halb habe ich immer eine ent­spre­chen­de Vals-Tan­da parat, um auch kurz­fris­tig („Habe gera­de erfah­ren, dass die XY vor ein paar Tagen Geburts­tag gehabt hat. Könn­test du bit­te …?“) etwas Pas­sen­des spie­len zu können.

Als DJ selber tanzen

Aus den genann­ten Grün­den habe ich natür­lich auch kein Pro­blem damit, wenn der DJ sel­ber Spaß hat und zu „sei­ner“ Musik tanzt. Ich bin aus einem ein­zi­gen Grund DJ gewor­den, näm­lich um sel­ber zu schö­ner Musik tan­zen zu kön­nen. Das tra­di­tio­nel­le DJ-Gebot „Du musst den gan­zen Abend lang zumin­dest so tun, als ob du wahn­sin­nig beschäf­tigt wärest, stän­dig auf dein Dis­play star­ren und an dei­nen Knöp­fen und Schie­be­reg­lern rum­fum­meln, auf kei­nen Fall darfst du Spaß haben und sel­ber tan­zen“ fand ich schon immer absurd. Sehr sym­pa­thisch fin­de ich des­halb fol­gen­de Aus­sa­ge eines tra­di­tio­nel­len (!) DJs:

Don’t just sit at the DJ booth, I feel stron­gly that DJs should dance. (Quel­le)

Mit his­to­ri­schen Aspek­ten von T&C beschäf­tigt sich die­ser Arti­kel.

Zurück

… und die Flasche, die bist DU!

Nächster Beitrag

Write about 200 to 250 words.

  1. Sehr schö­ner Text. Weil ich (als Tän­zer) mit fast allem über­ein stimm­te. Danke.
    An einem Punkt erhof­fe ich mir von d DJ (völ­lig unab­hän­gig von Trad. oder Non/Neo) jedoch eine Reak­ti­on auf das Gesche­hen auf der Tanz­flä­che – näm­lich dar­auf, wie eng es auf der Tanz­flä­che ist.
    Wenn es sich drän­gelt, emp­fin­de ich es als Grau­sam­keit, auch noch schnel­le, fet­zi­ge Lei­der zu spie­len, die zum Schleu­dern, Dre­hen und Bei­ne wer­fen ein­la­den (ganz abge­se­hen davon, dass es lei­der Men­schen gibt, die sich dann nicht beherr­schen kön­nen und ande­re gefähr­den). Wenn dage­gen viel Platz ist, fin­de ich schön, sich auch mal ein wenig „aus­to­ben“ zu kön­nen oder was Neu­es aus­pro­bie­ren zu können.
    Da ist es schön, wenn der DJ eine Plan B und C und D im Ärmel hat. Auch den kann man ja mit Play­lis­ten durch­aus vorbereiten.

  2. Norbert Jorda

    Ich bin als Tän­zer und DJ voll begeis­tert von die­sem Arti­kel … es ist nur so ver­dammt schwer in einem klas­sisch gepräg­ten Umfeld Neo­lon­gas ein­zu­füh­ren. Wir in Kauf­beu­ren haben behut­sam die­sen Schritt gewagt … zuerst eine Mischung von 80% : 20%, dann 70% : 30% und jetzt 70% : 30% und zusätz­lich alter­na­ti­ve Haus-Milon­gas von 40% : 60% und umge­kehrt. Ver­schie­de­ne DJ’s legen auf mit unter­schied­li­chen Vor­stel­lun­gen was über­haupt klas­sisch und nicht-klas­sisch ist. Mal sehen wohin die Rei­se geht. 

    Hin­sicht­lich Aus­wahl von Cor­t­i­nas bin ich nicht der glei­chen Mei­nung. Bei mir sind die Cor­t­i­nas sehr abwechs­lungs­reich und laden oft zum Tan­zen ein, da es bei uns vie­le Paa­re gibt, die neben Tan­go auch noch ver­schie­de­ne ande­re Tanz­rich­tun­gen pfle­gen. Begin­nen meh­re­re Paa­re auf eine Cor­ti­na zu tan­zen, pas­se ich die Dau­er der Cor­ti­na der Tanz­lei­den­schaft an .… natür­lich ist hier Fin­ger­spit­zen­ge­fühl gefragt, denn die Gesamt­stim­mung (es gibt ja auch Nicht­tan­zen­de) darf nicht dar­un­ter lei­den. Dazu muß man natür­lich erwäh­nen, dass bei uns (Tan­go-Luna Kauf­beu­ren) ja sowie­so schon immer eine sehr locke­re Stim­mung gepflegt wird und daher z.B. auch die Damen gene­rell zum Auf­for­dern ermu­tigt werden.

    • > was über­haupt klas­sisch und nicht-klas­sisch ist. 

      Das Adjek­tiv „klas­sisch“ fin­de ich in die­sem Zusam­men­hang völ­lig unpas­send, denn damit asso­zie­ren die meis­ten Leu­te „Hoch­kul­tur“ wie Mozart, Beet­ho­ven etc. Bes­ser fän­de ich „tra­di­tio­nell“ bzw. genau­er „EdO“ (= Epo­ca d’O­ro, also die – angeb­lich – gol­de­ne Epo­che der Tan­go­mu­sik). Was heu­te auf prak­tisch allen Milon­gas dudelt, hat mit der musi­ka­li­schen Band­brei­te des Tan­gos über­haupt nichts zu tun (sie­he z.B. http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/08/der-club-der-toten-tangos.html).

      > Begin­nen meh­re­re Paa­re auf eine Cor­ti­na zu tan­zen, pas­se ich die Dau­er der Cor­ti­na der Tanz­lei­den­schaft an …. 

      Das ist ein sehr ori­gi­nel­les Kon­zept, habe ich noch nie gehört bzw. sel­ber erlebt. 

      Kann ich mir aber auch frus­trie­rend vor­stel­len. Du legst als Cor­ti­na z.B. einen flot­ten Jive oder Boo­gie auf. Ich fan­ge mit mei­ner Part­ne­rin begeis­tert zu tan­zen an, ein ande­res Paar macht auch noch mit. Sind zwei Paa­re jetzt schon „meh­re­re“? Ver­mut­lich nicht, also drehst du wahr­schein­lich nach ca. 30 Sekun­den wie­der den Saft ab und wir müs­sen wie­der aufhören. 

      Wäre es da nicht bes­ser eine (vor­her ange­kün­dig­te) kom­plet­te Tan­da mit Sal­sa, Fox­trott, Cha-Cha (oder was auch immer Lun­a­beu­rer mögen) zu spie­len? Nur so’ne Idee … 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén