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Schübergewicht

Vie­le Sport-Kol­le­gen gehen beim The­ma „Über­ge­wicht bei Schü­lern“ den bequems­ten Weg. Sie geben einen Gna­den-Vie­rer, auch wenn die objek­ti­ven Leis­tun­gen viel schlech­ter sind, schließ­lich will man die armen Kin­der ja nicht „dis­kri­mi­nie­ren“ oder gar „beschä­men“. Ich hal­te die­ses Vor­ge­hen für falsch. 

Ich den­ke, dass es zu unse­rer Ver­ant­wor­tung gehört, alles uns Mög­li­che zu unter­neh­men, dass sich etwas ÄNDERT und das Kind ABNIMMT. Natür­lich kann man unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen haben, wie man das nun am bes­ten bewerk­stel­ligt. Dass sich aber nichts ändert, wenn man das Pro­blem ein­fach igno­riert, ist wohl unstrittig.

Ich ver­su­che auf drei ver­schie­de­ne Arten etwas zu bewir­ken. Ers­tens gebe ich die Note 4 nur, wenn sich ein über­ge­wich­ti­ger Schü­ler auch wirk­lich die meis­te Zeit deut­lich erkenn­bar bemüht. Ich sage ihm dann auch expli­zit, dass er die 4 sei­nem Enga­ge­ment zu ver­dan­ken hat. Wenn er aber immer wie­der z.B. bei Spie­len nur rum­steht („Ich bin dick und kann bzw. brau­che mich nicht zu bewe­gen“), dann bekommt er auch kei­ne 4 ins Zeug­nis bzw. in den Leis­tungs­be­richt. (Statt einem Zwi­schen­zeug­nis bekom­men unse­re Schü­ler im Dezem­ber und April einen sog. „Leis­tungs­be­richt“, in dem alle Noten auf­ge­führt sind, bei Sport steht aller­dings nur EINE Note.)

Zum zwei­ten ver­su­che ich mit dem betref­fen­den Schü­ler in einem pas­sen­den Moment bezüg­lich sei­nes Über­ge­wichts ins Gespräch zu kom­men. Wie ist es ent­stan­den? Was hat er schon dage­gen unter­nom­men? War­um ist er immer wie­der geschei­tert? usw.

Drit­tens infor­mie­re ich die Eltern. Eltern über­ge­wich­ti­ger Kin­der haben oft eine ver­zerr­te Wahr­neh­mung der Situa­ti­on. Sie den­ken häu­fig, dass ihr Kind viel­leicht „ein biss­chen fest“ ist oder einen „star­ken Kno­chen­bau“ hat. Die Tat­sa­che, dass es ja immer „aus­rei­chen­de“ (oder sogar „befrie­di­gen­de“) Leis­tun­gen erbringt, bestä­tigt sie in ihrer Hal­tung, dass im Grun­de doch alles in Ord­nung sei und man den „Schlank­heits­wahn“ nicht mit­ma­chen müs­se. Sie haben häu­fig nicht die gerings­te Ahnung davon, wie sehr z.B. ein Jun­ge dar­un­ter lei­det, wenn er nicht mal EINEN rich­ti­gen Lie­ge­stütz (doc) zustan­de bringt oder sich an den Rin­gen nicht mal 5 Sekun­den hal­ten kann, obwohl man 40 Sekun­den für die Note 5 bräuchte. 

Der ers­te Schritt ist immer ein Anruf oder eine Mail an die Eltern:

Sehr geehr­te Frau X, sehr geehr­ter Herr X,

die Tat­sa­che, dass ihr Sohn Y im Leis­tungs­be­richt in Sport die Note 4 hat, bedeu­tet nicht, dass sei­ne Leis­tun­gen alles in allem „aus­rei­chend“ sind. Wenn ich die Sport­no­te objek­tiv berech­nen wür­de, hät­te er die Note 5; die Note 4 habe ich gege­ben, weil er sich die meis­te Zeit im Rah­men sei­ner Mög­lich­kei­ten bemüht. Er schafft z.B. kei­nen ein­zi­gen kor­rek­ten Lie­ge­stütz (in der 9. Klas­se gibt es die Note 5 für 12 Stück) und kann sich an den Rin­gen nicht mal 5 Sekun­den hal­ten (für eine 5 soll­ten es 40 Sekun­den sein). Für 2,5 Run­den auf dem Sport­platz (= 1.000 m) benö­tigt er 6:30 Minu­ten (eine 5 gibt es ab 5:10 Minuten).

Der Haupt­grund für sei­ne man­gel­haf­ten Leis­tun­gen ist natür­lich sein erheb­li­ches Über­ge­wicht. Wie sie sicher wis­sen, ist star­kes Über­ge­wicht der wich­tigs­te Risi­ko­fak­tor für Dia­be­tes, Gelenk­schmer­zen und Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen. Sehr belas­tend ist für Kin­der / Jugend­li­che natür­lich auch der Spott der Mitschüler.

Sie kön­nen mich ger­ne Mo. ‑Fr. bis 18:00 Uhr unter 089 / 8129319 anru­fen oder mich per Mail (jochenlueders@gmail.com) kon­tak­tie­ren. Natür­lich kön­nen Sie auch in mei­ne Sprech­stun­de am xx in Zi. xx kommen.

Mit freund­li­chen Grüßen

Die Reak­ti­on der Eltern ist über­wie­gend posi­tiv. Zunächst fal­len die meis­ten aus allen Wol­ken, weil ihnen noch nie jemand in aller Klar­heit gesagt hat, wie es wirk­lich aus­chaut. In vie­len Fäl­len folgt der Mail das ange­bo­te­ne Gespräch, in dem sich die meis­ten Eltern dafür bedan­ken, dass sich end­lich mal jemand engagiert.

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  1. Judith

    Hal­lo zusammen!

    Mich wür­de inter­es­sie­ren, was bei Ihnen ein „nor­ma­les“ Gewicht ist. In der Schu­le mei­nes Kin­des wird Nor­mal Gewicht von den Eltern wie folgt definiert:

    Jun­ge, Alter 11 Jah­re, Grö­ße 140cm = nor­ma­les Gewicht 26 kg. 

    Mäd­chen, Alter 11 Jah­re, Grö­ße 150cm = nor­ma­les Gewicht 23kg. 

    Sind die­se Kin­der nicht Unter­ge­wich­tig? Als Pau­sen­brot bekom­men vie­le eine hal­be Bana­ne und einen vier­tel Apfel­Äp­fel, oder 2 Reis­waf­feln mit. 

    Was ist ihre Mei­nung hierzu? 

    Mit freund­li­chen Grüßen.

    • > In der Schu­le mei­nes Kin­des wird Nor­mal Gewicht von den Eltern wie folgt definiert:

      WER defi­niert da nach WELCHEN Kri­te­ri­en bzw. For­meln? Nach http://www.bmi-rechner.net/danke_kinder.htm sind bei­de Kin­der stark untergewichtig.

      • Judith

        Vie­len herz­li­chen Dank. Das hat­te ich befürch­tet. Die besag­ten Kin­der sehen auch unter­ge­wich­tig aus. Lei­der sind das 90% der Klasse.
        Ich ver­su­che mei­ne Toch­ter zu sen­si­bi­li­sie­ren. Sie ist Nor­mal­ge­wich­tig, wird aber als Fett gehänselt.
        Herz­li­chen Dank noch ein­mal für die Information.

        • Judith

          Nach­trag.

          Die Eltern der Kin­der defi­nie­ren es nach ihrem eige­nen per­sön­li­chen Meinungen.
          Lei­der reagiert die Schul­kran­ken­schwes­ter auch nicht, son­dern pro­pa­giert eher die­se Untergewicht. 

          Ich habe schon öfter das Gespräch mit den Eltern gesucht, aber lei­der wird Frau dann ver­bal angegeriffenangegriffen.
          Bin etwas rat­los, fin­de aber mit die­sem Hin­ter­grund­wis­sen bestimmt einen Weg.

  2. krokodilgemuese

    Also eine mei­ner bes­ten Freun­din­nen in der Schu­le war in Sport immer super. Und deut­lich übergewichtig.
    Ich war unter­ge­wich­tig und hat­te schlicht kei­nen Bock, auf Befehl einem Ball hin­ter­her­zu­ren­nen oder halt im Kreis zu ren­nen oder zu echt schlech­ter Tech­no­mu­sik rum­zu­ham­peln. Fahr­rad­ge­fah­ren bin ich immer ger­ne und bewegt hab ich mich auch genug. Das hat mich dann zwei mal den Buch­preis gekos­tet, weil ich außer in Sport nur 2er und 1 gehabt hat­te im Zeug­nis. War mir aber auch egal. Komi­scher­wei­se hab ich kei­ne über­grif­fi­gen Brie­fe an mei­ne Eltern mitbekommen.

    Was ich sagen woll­te: Viel­leicht soll­ten Sie mal wei­ter­den­ken als Übergewicht=faul und ungesund.
    Gute Tag.

    • > Viel­leicht soll­ten Sie mal wei­ter­den­ken als Übergewicht=faul und ungesund.

      Ich kann so lan­ge „wei­ter­den­ken“ wie ich möch­te, an „Über­ge­wicht = unge­sund“ wird sich nie­mals etwas ändern. Dass die Behaup­tung „Leicht Über­ge­wich­ti­ge leben län­ger“ Hum­bug ist, soll­te sich inzwi­schen her­um­ge­spro­chen haben.

      Dass stark über­ge­wich­ti­ge Kin­der / Erwach­se­ne sich nicht ger­ne bewe­gen, hat meis­tens nichts mit „Faul­heit“ zu tun. Sie wür­den sich ja in vie­len Fäl­len ger­ne bewe­gen, nur ist es halt anstren­gend, macht des­halb kei­nen Spaß bzw. tut häu­fig (z.B. in den Gelen­ken) weh.

  3. Hal­lo!
    Mich wür­de inter­es­sie­ren, ob die oben dar­ge­stell­te Vor­ge­hens­wei­se auch lang­fris­tig tat­säch­lich zu einer Gewichts­ab­nah­me und Leis­tungs­stei­ge­rung führt. Mei­ne Ver­mu­tung wäre nein, da mei­ne schrift­li­chen Hin­wei­se an Eltern (ver­ges­se­ne Haus­auf­ga­ben, Arbeits­hal­tung, etc.) auch verpuffen.

    • Da wage ich kei­ne Aus­sa­ge zu tref­fen. Vie­le Schü­ler hat man ja nicht mehr, so dass man das auch nicht mehr mit­ver­folgt. Außer­dem wäre es ver­mes­sen zu hof­fen, dass man allei­ne soviel bewir­ken kann. Ich den­ke, dass immer meh­re­re Fak­to­ren im rich­ti­gen Moment zusam­men­kom­men müs­sen. Wir wis­sen ja alle, das z.B. der Ein­fluss der peer group bzw. der Freun­din deut­lich grö­ßer ist, als der der Eltern und Leh­rer. Dar­aus den Schluss zu zie­hen, dass es ja eh kei­nen Sinn hat, auf Schü­ler bzw. Eltern ein­wir­ken zu wol­len, ist aber auch falsch. Wir soll­ten uns m.E. bemü­hen, das uns Mög­li­che zu ver­su­chen, wenn es nichts bewirkt, haben wir es wenigs­tens versucht.

  4. Puh… das ist deut­lich. Aber ich fin­de es gut. 

    Ich war jah­re­lang der Mei­nung, Sport soll­te in der Schu­le gar nicht bewer­tet wer­den, weil nun mal nicht alle Schü­ler die glei­chen Mög­lich­kei­ten haben, gute Noten zu errei­chen. Es dau­er­te eine Wei­le, bis ich ver­stand, dass das in JEDEM Fach so ist. Aus­führ­lich habe ich dem im Som­mer einen gan­zen Bei­trag gewid­met: https://robinsurbanlifestories.wordpress.com/2015/06/22/schulsport-ein-hurra-auf-ein-unbeliebtes-fach/
    Daher bin ich der Mei­nung, dass jemand, der sich in Sport kei­ne Mühe gibt, auch kei­ne Buch­prei­se ver­dient hat, egal wie gut die rest­li­chen Noten sind. Das ist schlicht Leistungsverweigerung.

    Seit „Fett­lo­gik“ habe ich nicht nur Gewicht ver­lo­ren, son­dern auch effek­tiv Kraft­sport betrie­ben. Es hat mich völ­lig fas­sungs­los gemacht, wie sehr sich mein Kör­per­ge­fühl ver­bes­sert hat. Fit zu sein ist ein­fach ein wun­der­schö­nes Gefühl. Das mer­ke ich schon bei so Klei­nig­kei­ten wie einem kur­zen Sprint zum Bus, womit ich frü­her schon in kür­zes­ter Zeit völ­lig ver­aus­gabt war. Und mei­ne gestei­ger­te Kraft ist natür­lich in so ziem­lich jedem Lebens­be­reich nütz­lich. Es macht mich zudem ein­fach stolz, nun zehn­mal mehr Lie­ge­stüt­ze zu schaf­fen als noch Anfang des Jahres.

    Nichts­des­to­trotz war Gewicht bei mir schon seit dem Kin­der­gar­ten immer ein sen­si­bles The­ma. Hier­zu habe ich mei­ne Mei­nung aber nicht geän­dert: Wenn ein Kind über­ge­wich­tig ist, sind die Eltern dran Schuld. Teen­ager kön­nen sich dage­gen viel­leicht schon sel­ber kochen und selbst­stän­dig ent­schei­den, wie vie­le Por­tio­nen sie essen, aber bis zu einem gewis­sen Alter sind Kin­der ihren Eltern aus­ge­lie­fert. Des­we­gen fin­de ich es gut, die­se hier in die Ver­ant­wor­tung zu zie­hen, hof­fe aber dar­über hin­aus, dass die Gesprä­che mit den Kin­dern mit der nöti­gen Sen­si­bi­li­tät geführt wer­den. Da mache ich mir aber bei dir kei­ne Gedanken!

  5. bampf

    Bei mei­nen Sport­leh­rern gab es die 4‑fürs-Bemü­hen auch nur für wirk­li­ches Bemü­hen. Teil­wei­se haben sie auch Schü­lern nahe­ge­legt immer etwas zei­ti­ger zu kom­men und beim Auf­bau­en zu hel­fen um die Mit­ar­beits­no­te aufzubessern.

    Mal eine Fra­ge die etwas vom The­ma abweicht: was machst du mit Leu­ten die ein­fach nur unsport­lich sind? Ich war nie auch nur in der Nähe von Über­ge­wicht, aber die erwähn­ten Anfor­de­run­gen hät­te ich auch nie geschafft.

    • > was machst du mit Leu­ten die ein­fach nur unsport­lich sind? 

      Zunächst ein­mal ver­su­che ich durch einen mög­lichst abwechs­lungs­rei­chen Unter­richt auch den ver­meint­lich „unsport­li­chen“ Schü­lern Erfolgs­er­leb­nis­se und damit Spaß an Bewe­gung und Sport im wei­tes­ten Sin­ne zu ver­mit­teln. Dabei hat es sich bewährt, Sachen zu machen, die Jun­gen nor­ma­ler­wei­se noch nicht gemacht haben, also z.B. Seil, Jon­glie­ren und Aero­bic (sie­he dazu auch den Bei­trag: https://www.jochenlueders.de/?p=945). Wenn alle sozu­sa­gen bei Null anfan­gen, haben auch die Schlech­ten eine reel­le Chan­ce eine gute Note zu bekom­men, vor allem wenn sie zu Hau­se üben. 

      Um Schü­ler zu moti­vie­ren sich zu ver­bes­sern bzw. über­haupt mal anzu­fan­gen zu trai­nie­ren, lau­fen bestimm­te Din­ge wie Lie­ge­stüt­ze, Hal­ten an den Rin­gen, 1.000 m etc. das GANZE Schul­jahr über. Das bedeu­tet wir machen zum ers­ten Mal im Herbst Noten und dann kön­nen die Schü­ler das gan­ze Schul­jahr über am Anfang der Stun­de zu mir kom­men und ver­su­chen sich zu ver­bes­sern. Sie kön­nen sich nur ver­bes­sern, wenn sich schlech­ter sind als beim letz­ten Mal pas­siert nichts, sie gehen also kein Risi­ko ein. 

      Gut fin­de ich auch Model­le, bei denen die Leis­tungs­stei­ge­rung bewer­tet wird. Einer Schü­ler schafft zu Beginn des Schul­jahrs kei­nen ein­zi­gen kor­rek­ten Lie­ge­stütz, im Dezem­ber aber immer­hin schon 10. Das ist objek­tiv zwar immer noch (für eine 10te) eine 6, aber immer­hin eine enor­me Ver­bes­se­rung. Das Pro­blem bei die­sem Vor­ge­hen ist halt nur, dass die Schü­ler beim ers­ten Durch­gang weit unter ihren Mög­lich­kei­ten blei­ben, um spä­ter eine mög­lichst gro­ße Dif­fe­renz zu haben.

      Drit­tens ver­su­che ich immer wie­der zu ver­mit­teln, dass es beim Sport nicht in ers­ter Linie um Leis­tung gehen braucht (obwohl man an ihr natür­lich auch gro­ße Freu­de haben kann), son­dern um kör­per­li­ches Wohl­be­fin­den, Ener­gie und Lebensqualität.

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